Unser Pilotprojekt im Jalinga Teegarten in Assam (Indien) liefert erste vielversprechende Ergebnisse
Um das 1,5 Grad Ziel mit großer Wahrscheinlichkeit einzuhalten dürfen noch etwa 300 Gt CO2 an die Atmosphäre abgegeben werden, wie im neuesten IPCC-Sachstandbericht „Minderung des Klimawandels“ dargestellt. Da die Erdbevölkerung momentan etwa 45 Gt CO2 pro Jahr an die Atmosphäre ausstößt, wäre diese Restmenge in einem Business-as-usual-Szenario innerhalb von 7 Jahren aufgebraucht. Das zeigt sehr deutlich, dass wir unsere Emissionen schnellstmöglich drastisch reduzieren müssen, um bis spätestens 2050 die Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Das kann nur durch Vermeidung, also eine grundlegende Umgestaltung unserer Wirtschaft erreicht werden. Wenn wir uns jedoch die aktuellen politischen Ziele anschauen, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass die Emissionen im benötigten Maße abgesenkt werden. Zudem haben wir bereits heute einige kritische Punkte überschritten, wie zum Beispiel das Abtauen der Permafrostböden in Sibiriern, die wir nicht mehr aufhalten können. Das Abtauen der Eismassen führt zur Freisetzung von Methan. Methan ist ein Treibhausgas, das auf 20 Jahre betrachtet das 86fache Erwärmungspotential von CO2 besitzt. Durch den Ausstoß des Methans wird die Erderwärmung weiter vorangetrieben, was unweigerlich zu einem weiteren Abschmelzen und einem weiteren Freisetzen von Methan führt. Selbst wenn es uns gelingen würde bis 2050 eine Industrie aufzubauen, die mit keinerlei Emissionen verbunden ist, blieben diese Methanemissionen oder die Emissionen aus industrieller Landwirtschaft zurück, die wir der Atmosphäre entziehen müssen, um die Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Als Klimaschutzorganisation nimmt atmosfair seine Verantwortung an und fördert auch Projekte zur CO2 Speicherung. Für unsere e-Kerosin-Anlage im Emsland entziehen wir der Luft mittels Direct Air Capture CO2. Dafür nutzen wir erneuerbaren Strom. Mit der direkten Sonnenenergie machen Pflanzen im Prinzip das gleiche. Sie nehmen CO2 aus der Luft auf und bauen den Kohlenstoff in ihre Zellstrukturen ein. Wir Menschen können das nutzen, indem wir die Biomasse der Pflanzen richtig verarbeiten. So können wir den enthaltenen Kohlenstoff über Jahrhunderte hinweg fixieren und er gelangt nicht in die Atmosphäre.
Eine sehr elegante Möglichkeit der Verarbeitung der Biomasse ist die Pyrolyse. Die Biomasse wird dafür stark erhitzt. Im Gegensatz zur Verbrennung, an die die meisten Menschen unwillkürlich denken, wenn sie Erhitzung von Holz hören, findet die Pyrolyse ohne Sauerstoff statt. Eine chemische Reaktion passiert durch die große Energiezufuhr trotzdem. Die Biomasse wird in feste, flüssige und gasförmige Produkte zersetzt. Der feste Bestandteil heißt Pflanzenkohle. Pyrolyse hat einen großen Vorteil: Jede*r kann sie mit einfachsten Mitteln dezentral und sauber ausführen. Im einfachsten Fall braucht die Person dafür lediglich ein kegelförmiges Loch im Boden. In technisch ausgeklügelteren Verfahren können die drei Reaktionsprodukte (fest, flüssig und gasförmig) aufgefangen und weiterverwendet oder sicher gespeichert werden. Damit wird fast die gesamte Menge des Kohlenstoffs der Pflanze langfristig gebunden.
Das ist sehr viel effizienter als die natürliche Verrottung von Pflanzen, bei der lediglich 10-15% des Kohlenstoffs zu gelöstem Bodenkohlenstoff werden. Die Bindung dieses Kohlenstoffs ist durch komplizierte Dynamiken von vielen Faktoren abhängig und damit äußerst instabil. Im Mittel verbleibt ein Molekül 50 Jahre im Boden, ehe es wieder an die Atmosphäre abgegeben wird. Im Gegensatz dazu widersteht Pflanzenkohle biologischen Abbauprozessen durch ihre besondere Struktur. Damit das wirklich sicher ist, muss die Kohle bestimmten, eindeutig feststellbaren, Qualitätskriterien entsprechen. Außerdem wichtig: Die grundlegenden Kreisläufe des Ökosystems bleiben erhalten. Die Pflanzenkohle kommt wieder genau dort, wo die Pflanzen gewachsen sind, zurück in den Boden. Wichtige Mineralien und wichtige Spurenelemente verbleiben und der Boden laugt nicht aus.
Pflanzenkohle hat noch viele weitere positive Effekte. Sie führt in vielen Fälle zu Ertragssteigerungen, da auf der gleichen Fläche mehr Biomasse wächst. Kleinbauern können ohne teure Maschinen ihre eigene Pflanzenkohle herstellen und damit ihre wirtschaftliche Situation verbessern. Pflanzenkohle verbindet so das Ziel der Kohlenstoffspeicherung mit dem Ziel der Förderung nachhaltiger Landwirtschaft und der Förderung kleiner, selbstbestimmter Betriebe. Zudem ist sie technisch ausgereift und kann sofort an möglichst vielen Stellen auf der Welt ausgerollt werden.
Aus unserem Projekt – Pflanzenkohle zur Verbesserung der Bodenqualität
In Pilotprojekten im Jalinga Teegarten in Assam, Indien, entwickelt und testet atmosfair zusammen mit der Jalinga Tea Company India klimaschonende Wege für den Anbau und die Verarbeitung von Tee, und fördert dabei zugleich die Anpassung an veränderte Klimabedingungen. Der Jalinga Teegarten nutzt seit mehr als 15 Jahren eine besondere Kompostiermethode zur Düngung der Teepflanzen. atmosfair und der Teegarten untersuchen nun, ob diese Methode noch weiter verbessert werden kann. Wir führen einen Feldversuch zur kohlenstoffangereicherten Landwirtschaft mit Pflanzenkohle durch. Auf einer gigantischen Versuchsfläche erforschen wir die Auswirkungen vier verschiedener Düngermischungen mit Pflanzenkohle auf den Ertrag unter verschiedenen Umweltbedingungen.
Die Angestellten produzieren die Pflanzenkohle direkt vor Ort ohne teure Maschinen aus Teeernteresten. Das Besondere an Pflanzenkohle ist, dass sie selbst kein Nährstoff ist, aber wie Aktivkohle eine besonders große innere Oberfläche hat, an die Nährstoffe binden können. Die Pflanzenkohle hält Nährstoffe fest, sobald sie mit ihnen in Berührung kommt. Die Nährstoffe werden dadurch auch in der Regenzeit nicht mehr von den großen Wassermengen aus dem Boden ausgespült, sondern bleiben weiterhin für die Pflanzen verfügbar. Im Gegenteil, die Pflanzenkohle kann das Wasser sogar aufsaugen und dann langsam wieder an den Boden wieder abgeben. Da die Nährstoffe an die Pflanzenkohle gebunden sind, sendet die Pflanze ein stärkeres Signal an die Mikroorganismen aus. Diese setzen die Nährstoffe so um, dass die Pflanze sie aufnehmen kann. Durch die vielen Mikroorganismen ist der Boden gesünder. Zur Anreicherung der Pflanzenkohle mit Nährstoffen haben wir 2021 im Feldversuch drei verschiedene Methoden durchgeführt:
- Bereits im Februar 2021 haben die Arbeitenden Pflanzenkohle mit Pflanzenresten vermischt, die dann knapp einen Monat lang kompostiert werden. Die Nährstoffe werden während des gesamten Kompostierungsprozesses von der Pflanzenkohle aufgesaugt.
- Kurz vor der Ausbringung im Mai 2021 haben die Arbeitenden die Pflanzenkohle mit Kuhurin getränkt bis sie sich wie ein Schwamm vollständig vollgesogen hatte. Im Anschluss haben die Arbeitenden die vollgesogene Pflanzenkohle zur Vergleichbarkeit mit Kompost gemischt.
- Direkt vor dem Ausbringen haben die Mitarbeitenden die Pflanzenkohle mit dem fertigen Kompost gemischt.
Zum Vergleich haben die Arbeitenden einige Pflanzen ausschließlich mit Kompost gedüngt. In Handarbeit haben sie neben jede einzelne der 40.000 Pflanzen ein kleines Loch gegraben und das exakt berechnete Volumen an Kompost mit Pflanzenkohle hineingegeben.
Nun hieß es warten. Über Monate hinweg haben wir bei jeder Pflückung Daten zum Ertrag aufgenommen. Eigentlich hatten wir erwartet, schon nach wenigen Wochen, erste Effekte der Düngung mit Pflanzenkohle im Vergleich zur Kontrollgruppe zu sehen. Die Böden in Jalinga sind sehr sauer. Durch chemische Barrieren können die Pflanzen selbst vorhandene Nährstoffe nicht erreichen. Pflanzenkohle hebt den pH-Wert und macht damit die Nährstoffe verfügbar. Wir hatten deshalb erwartet, dass allein durch die regulierende Wirkung der Pflanzenkohle ein positiver Einfluss auf das Pflanzenwachstum eintreten sollte, der auch schnell sichtbar wäre. Dieser Effekt machte sich in den ersten Wochen nach der Anwendung jedoch nicht bemerkbar. Stattdessen gab es bei den mit Pflanzenkohle gedüngten Pflanzen sogar etwas weniger Ernte. Vermutlich, weil die Nährstoffe so gut an die Pflanzenkohle gebunden waren, dass sie nicht direkt im gewohnten Maße für die Pflanzen erreichbar waren. Das änderte sich aber mit der Zeit. Über die gesamte Ernteperiode hinweg können wir feststellen, dass die Düngung mit mitkompostierter Pflanzenkohle, sowie die in Urin getränkte Pflanzenkohle das Pflanzenwachstum deutlich gesteigert hat. Im Schnitt ergab sich 18% Ertragssteigerung (siehe Grafik). Wir bedanken uns bei Prof. Claudia Kammann und Hans-Peter Schmidt, die uns im Versuchsdesign und bei der Interpretation der Ergebnisse sehr unterstützt haben. In diesem Jahr setzen wir die Versuche fort. Zusammen mit den Mitarbeitenden aus dem Teegarten haben atmosfair-Mitarbeitende das Versuchsdesign für 2022 geplant, bei dem wir uns die vielversprechendsten Ergebnisse aus 2021 genauer ansehen und auch in Richtung der weniger arbeitsintensiven Anwendung optimieren. Mit viel Motivation hat unser lokaler Projektleiter das die Ausbringung der verschiedenen Düngevarianten im April angeleitet.
In anderen Projekten untersucht atmosfair wie Pflanzenkohle zur erfolgreichen Aufforstung beitragen kann. Dabei liegen besonders herausfordernde Umgebungen wie ein stark erodierter Berg in Nepal im Fokus. Bei der Pflanzung wird ein Substrat mit Pflanzenkohle mit in das Pflanzloch gegeben, sodass die Bäume insbesondere von der Wasserrückhaltefähigkeit der Pflanzenkohle profitieren können. Menschen aus der Region der Stadt Bandipur pflegen die Bäume über drei Jahre, bis sie stark genug sind, um selbst zu überleben. Außerdem planen wir Versuche dazu, wie mithilfe von Pflanzenkohle in Waldgärten eine kleinbäuerliche Landwirtschaft betrieben werden kann, die auf Nachhaltigkeit, Biodiversität sowie Ertragsmaximierung und die Speicherung von Kohlenstoff optimiert ist.
Unser Pilotprojekt im Jalinga Teegarten in Assam (Indien) liefert erste vielversprechende Ergebnisse