Pilotanlage im Emsland produziert erste Mengen an CO-neutralem Flugzeugtreibstoff aus Strom, Wasser und CO₂ aus der Luft für die kommerzielle Nutzung. Unter den Abnehmern sind zwei deutsche Reiseveranstalter. atmosfair will mit der Anlage Wege zu klimaverträglichem Fliegen aufzeigen. Wir werden aber trotzdem weniger fliegen müssen. 

Ein Tanklaster für Betankungsversuche auf der Anlage in Werlte. Foto: atmosfair gGmbH

Berlin/Werlte, 28.06.2024: Die weltweit erste industrielle Anlage für die Produktion von strom-basiertem CO-neutralem Kerosin hat den ersten Meilenstein zum Regelbetrieb geschafft und die ersten fünf Tonnen Rohkerosin produziert. Damit ist die atmosfair-Anlage die erste auf Flugkerosin ausgelegte Anlage, die erfolgreich produziert hat. Sie wurde von der Klimaschutzorganisation atmosfair und ihrer Betreiberfirma Solarbelt finanziert und gebaut und 2021 mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze eingeweiht.

Die Anlage soll zeigen, wie die industrielle Produktion von strom-basiertem synthetischen Kerosin technisch möglich ist und wie dabei ausschließlich erneuerbare Energien und Ressourcen genutzt werden können. Das Verfahren ist damit auf Dauer der wichtigste Weg, um einen relevanten Anteil des Flugverkehrs klimaverträglich zu machen.

„Wir können jetzt zeigen, dass das Verfahren für strom-basiertes Kerosin funktioniert und beinahe 100 % CO einspart. Aber die Technologie ist noch nicht reif und muss für den Markthochlauf zeigen, dass sie wichtige Hürden nehmen kann“, sagt atmosfair Geschäftsführer Dietrich Brockhagen.

Schon jetzt können Privatpersonen und Unternehmen direkt auf der atmosfair-Website das CO-neutrale Kerosin für die CO-Kompensation der eigenen Reise hinzubuchen. Zusätzlich bieten ab Herbst auch die Münchener Reiseveranstalter Hauser Exkursionen und Neue Wege Reisen mit einer Beimischung des atmosfair Kerosins an.

„Es ist gut und wichtig, dass mittelständische Reiseunternehmen schon heute als Vorreiter im Klimaschutz die Verantwortung für ihre Flüge und Kunden übernehmen“, sagte Prof. Mojib Latif, Klimaexperte und Schirmherr von atmosfair. „Auch die Airlines müssen jetzt ihren Teil des Risikos übernehmen und die Abnahme von relevanten Mengen zusichern. Nur so besteht eine realistische Chance, dass im Wettlauf mit der Zeit und bei knappen Stromressourcen zumindest ein Teil des Flugverkehrs klimaverträglich wird.“

Bisher setzen die Airlines vor allem auf alternatives Kerosin aus fetthaltigen Pflanzen und Speiseresten, das aber nicht ausreichend und umweltverträglich verfügbar ist, um einen relevanten Teil des aus fossilen Quellen gewonnenen Kerosins zu ersetzen. Strom-basiertes Kerosin ist heute noch deutlich teurer. Investitionen in diese Technologie müssen aber heute für den Markthochlauf von morgen stattfinden.

„Für die Skalierung von strom-basiertem Kerosin bräuchten wir jetzt die Nachfrage der Airlines selbst. Angesichts der aktuellen ersten Kleinstmengen könnten gerade die großen Airlines leicht die gesamte Produktion aufkaufen und damit selbst Verantwortung für die Entwicklung der Technologie und Kostensenkung übernehmen“ so Brockhagen. „Die Fluggesellschaften müssen sich im eigenen Interesse jetzt selbst engagieren, wenn sie ihr Businessmodell erhalten wollen, und dürfen nicht weiter auf die Politik verweisen.“

Gleichzeitig sollte die Luftfahrtbranche aufhören zu suggerieren, dass klimafreundliches Fliegen in den heutigen Dimensionen machbar ist, denn auch das grüne strom-basierte Kerosin ist sehr energieintensiv. In Werlte muss atmosfair über fünfmal so viel Energie aus Wind- und Solarkraft für den Prozess aufwenden, wie am Ende im Kerosin enthalten ist. Aber auch bei zukünftiger Optimierung müsste die heutige weltweite Kapazität an erneuerbaren Energien verdoppelt werden, nur um den heutigen Weltluftverehr mit strom-basiertem Kerosin versorgen zu können. Für die nächsten Jahrzehnte kann nur ein Bruchteil des heutigen Flugverkehrs abgedeckt werden. Deshalb bleibt weniger fliegen die wichtigste Klimaschutzmaßnahme.

Die Pionieranlage in Werlte gewinnt unter dem Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen Wasserstoff aus Wasser und bezieht Kohlenstoff aus CO aus der Luft. Diese werden dann zu Kohlenwasserstoffen synthetisiert. Insgesamt erzielt das Rohöl aus der Anlage so eine CO-Ersparnis von 96 Prozent gegenüber fossilem Rohöl. Die Weiterverarbeitung findet in einer Raffinerie statt.

Das so produzierte Kerosin wird dann nach dem so genannten Book&Claim Verfahren den Abnehmern zugerechnet. Anlage und die CO-Ersparnis sind vom TÜV-Süd zertifiziert. Der atmosfair Standard für strom-basiertes Kerosin verlangt zudem, dass alle Einsatzstoffe vollständig erneuerbar und frei von anderen Umwelt- und Soziallasten sind.

Das produzierte Rohkerosin ist in dem Sinne „CO-neutral“, dass beim Verbrennen im Flugzeugtriebwerk nur so viel CO emittiert wird, wie vorher bei seiner Herstellung der Erdatmosphäre entzogen wurde. Die 100 % CO-Einsparung gegenüber fossilem Kerosin wird nicht ganz erreicht, weil das strom-basierte Rohkerosin noch transportiert und in einer Raffinerie verarbeitet werden muss.

atmosfair Geschäftsführer Dietrich Brockhagen (rechts) bei einem Test der Betankung. Foto: atmosfair gGmbH

Daten, Fakten, Hintergrund

Die Anlage in Werlte läuft aktuell noch im vereinfachten Modus. Ab etwa 2026 soll sie rund 300 Tonnen strom-basiertes Rohöl jährlich produzieren. Das ist wenig gegenüber dem Kerosinbedarf von Airlines. Allein die deutschen Fluggesellschaften verbrauchten 2023 zusammen etwa 10 Millionen Tonnen Kerosin.

Der TÜV-Süd hat die Anlage und die CO-Ersparnis 2024 nach dem atmosfair fairfuel Standard zertifiziert und der Solarbelt gGmbH die Erlaubnis für den Vertrieb nach dem so genannten Book&Claim Verfahren erteilt, das analog zum Verkauf von eingespeistem Grünstrom an Haushalte in einem Netz mit fossilem Strom funktioniert.

Die Münchener Reiseunternehmen Hauser Exkursionen und Neue Wege Reisen nutzen das strom-basierte Kerosin aus Werlte, um ab dem kommenden Herbst den Flügen ihrer Gäste 0,1 Prozent des neuen Treibstoffs beizumischen. Ab 2026 sollen in Deutschland 0,5 Prozent des Treibstoffs für Flugzeuge aus dem neuen Power-to-Liquid-Kerosin bestehen. Es ist aber wahrscheinlich, dass diese deutsche Quote von der EU noch gekippt wird. Dann wäre erst ab 2030 EU-weit eine 1 % Beimischung von strom-basiertem Kerosin vorgeschrieben.

atmosfair verkauft das strom-basierte Kerosin über das Book&Claim Verfahren zudem auch über seine Website für die Geschäftsreisen von ca. 60 Unternehmenskunden aus allen Branchen.

Die atmosfair Anlage im Emsland läuft mit fast ausschließlich deutscher Technologie. Hersteller der wichtigsten Kernkomponente ist das Karlsruher Unternehmen Ineratec.

Die Bundesregierung hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 die öffentlichen Mittel für die Förderung von erneuerbaren Kraftstoffen und damit im Wesentlichen auch von synthetischem Kerosin um etwa zwei Mrd. € auf wenige hundert Millionen € zusammengestrichen.

Strombasierte Kraftstoffe sollten nur im Flugverkehr zum Einsatz kommen, wo andere Lösungen wie Batterien gerade auf der Langstrecke nicht geeignet sind. Im Straßenverkehr sollte aus Klimasicht dagegen Elektromobilität zum Einsatz kommen.

Solarbelt ist eine gemeinnützige Betreiberfirma, die aus atmosfair ausgegründet wurde.

 

Weitere Informationen

Alle Fotos mit Tanklastwagen und Bewegtbilder/Schnittbilder für TV-Sender hier:  https://files.atmosfair.de/index.php/s/8PjS2AExw9mFPni 

Pressekontakte

atmosfair und Solarbelt gGmbH:
Dietrich Brockhagen (GF, brockhagen@atmosfair.de)
Wolfdietrich Peiker (Peiker@atmosfair.de, 030-1208480-0)

Hauser Exkursionen:
Geschäftsführer Manfred Häupl (m-haeupl@hauser-exkursionen.de, +49 89 23500610)

Neue Wege Reisen:
Geschäftsführer Johannes Reißland (j.reissland@neuewege.com, +49 2226-1588-012)