Liebe Leserinnen und Leser,
der Klima-Gipfel in Lima ist am Wochenende mit einem ersten Eckpunktepapier für einen Weltklimavertrag zu Ende gegangen. Als ehemaliger Verhandler fällt mir auf, wie weit wir wieder von der Verbindlichkeit des Kioto-Protokolls von 1997 entfernt sind. Wenn heute, 17 Jahre später, einfach alle Staaten selbst bestimmen sollen, wie weit und schnell sie ihre CO₂-Emissionen senken wollen, dann zeigt mir das, wie wenig Gewicht die Staaten der Klimaerwärmung beimessen.
Doch dass der Klimawandel für einige Länder schon heute bittere Realität ist, zeigt auch der in Lima von Germanwatch veröffentlichte Klima-Risiko-Index 2013: Demnach sind die Philippinen das am meisten durch Extremwetter geschädigte Land. Zeitgleich zur Klimakonferenz zog erneut ein Taifun über das Land, dessen Bewohner zuvor kaum Zeit hatten, die Schäden des Sturmtiefs Haiyan vor einem Jahr zu beseitigen.
Ihre Klimaschutzbeiträge verwenden wir auch in den Philippinen, lesen Sie mehr dazu im aktuellen Newsletter, dazu einen Reisebericht aus Indien unseres Mitarbeiters Robert Müller, sowie ein Interview über das Klimaaktionsprogramm der Bundesregierung mit Petra Thomas, Geschäftsführerin des forum anders reisen e.V.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung,
Ihr Dietrich Brockhagen
Geschäftsführer atmosfair
P.S. Fragen, Anregungen und Kritik richten Sie bitte an: info@atmosfair.de
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„Wir sind alle in Sicherheit"
Gute Nachrichten vom atmosfair-Biogas-Projekt auf den Philippinen
Manila, Dezember 2014: Nach dem verheerenden Taifun Haiyan im November 2013 wurden die Philippinen erneut von einem tropischen Wirbelsturm getroffen. Die Befürchtungen vor den Auswirkungen des Sturms waren groß, da die Folgen von Haiyan noch nicht vollständig beseitigt und die Bilder der Verwüstung noch frisch waren.
Während im vergangenen Jahr etwa 10.000 Menschen ihr Leben und über vier Millionen ihre Häuser und Lebensgrundlagen verloren, hatte das atmosfair Projekt mit den Kleinbiogasanlagen in diesem Jahr mehr Glück. Nachdem der Taifun über die Region hinweggezogen war, erreichten das atmosfair-Team in Berlin gute Nachrichten von Maria Banico, der Projektpartnerin vor Ort: „Wir sind alle sicher. Die Menschen beginnen, ihre Habseligkeiten wieder auszupacken, und mit kleineren Reparaturarbeiten an ihren Hausdächern.“
Das bedeutet auch, dass keiner der Haushalte schwer getroffen wurde oder gar seine Lebensgrundlage verloren hat. Selbstverständlich gibt es aufgrund des Starkregens schlimme Überschwemmungen und es wird noch einige Zeit dauern, bis die Menschen wieder zum Alltag zurückkehren können. Das Wichtigste aber ist, dass sowohl die Schweineställe als auch die Biogasanlagen noch intakt sind. Hinzu kommt, dass die Sau, die unserer Projektpartnerin Virginia gehört, während des Sturms 14 Ferkel geworfen hat. Das bedeutet eine neue Einkommensquelle für Virginia und ihre Familie sowie „Futter“ für ihre Biogasanlage.
Zu den guten Nachrichten aus den Philippinen gesellt sich eine aus Berlin. Atmosfair konnte kürzlich Gelder für neue Biogasanlagen frei machen. Noch vor Weihnachten können also noch 25 weitere philippinische Haushalte eine Biogasanlage bekommen.
„Eine Kurtaxe für die Reisewirtschaft"
Petra Thomas vom forum anders reisen e.V. im atmosfair-Interview
Kompensation ist nur der zweitbeste Weg, sollte aber so selbstverständlich sein wie eine Kurtaxe, meint Petra Thomas, Geschäftsführerin vom forum anders reisen e.V. im Interview mit atmosfair. Die Bundesregierung gehe mit ihrem letzte Woche Anfang Dezember verabschiedeten Klimaaktionsprogramm in die richtige Richtung – allerdings müsse noch viel mehr getan werden, um die Schäden durch den Flugverkehr und den Tourismus auszugleichen.
Am 3. Dezember hat die Bundesregierung ihr Klimaaktionsprogramm beschlossen: Bis 2020 sollen mindestens 40 Prozent weniger Treibhausgase emittiert werden als 1990. Bekommt die deutsche Reisewirtschaft auch minus 40 Prozent bis 2020 hin?
Ganz sicher nicht. Bisher fehlt es einfach an einer Erhebung aller Bereiche, welche und wie viele Emissionen denn tatsächlich allein durch die Reisen der Bundesbürger entstehen. Auf jeden Fall macht der Flugverkehr den Großteil der Emissionen im Reiseverkehr aus. Aber alle anderen Emissionen, die unter anderem durch den Ressourcenverbrauch vor Ort oder Unterkünfte entstehen, werden bisher gar nicht mit einbezogen. Da es dazu keine Daten gibt, können auch keine Ziele formuliert werden. Zudem befindet sich der Markt klar im Wachstum.
Welche Punkte im Regierungs-Programm halten Sie für besonders wichtig?
Der wichtigste ist der Flugverkehr, der im Programm ja nur im Rahmen von Effizienzsteigerungen eingeplant ist. Das ist deutlich zu wenig. Zwar kann man die Effizienz der Maschinen durch neue Technologien steigern, aber wenn gleichzeitig die Flugreisen zunehmen, hilft das wenig. Es müsste vielmehr darüber nachgedacht werden, wie das Flugverhalten geändert werden kann und ob die Ticketsteuer auf Flugreisen nicht direkt in den Klimaschutz statt in die Staatskassen fließen sollte. Man muss versuchen, die Schäden durch den Flugverkehr auszugleichen und die Kosten – etwa durch einen wirksamen Emissionshandel oder Kompensationsprojekte – einzupreisen.
Einen ganzen Strauß von Maßnahmen gibt es zum Verkehr – wurden hier richtige Anreize gesetzt?
Diese Maßnahmen sind bei weitem nicht ausreichend. Ohne Frage ist es sinnvoll, die Elektromobilität, Sharing-Angebote und den öffentlichen Nahverkehr zu fördern. Was jedoch fehlt, ist das Umdenken in der Energiewirtschaft – denn ein Elektroauto mit Kohlestrom angetrieben hilft uns auch nicht weiter. Ich bin eher enttäuscht darüber, dass die erneuerbaren Energien keinen größeren Anteil am Energiemix haben werden. Auch über einen Kohleausstieg steht nichts im Programm.
Urlaub in Thailand, Skifahren in der Schweiz und Shoppen in London: Was könnte die Regierung tun, um den emissionsreichen Lebensstil vieler Deutscher auch im Urlaubsort zu thematisieren?
Die wichtigste Aufgabe ist tatsächlich die Aufklärung des Verbrauchers, dem wir ja nicht verbieten können und wollen zu fliegen. Man muss ihn bei seiner eigenen Reisemotivation abholen. Es gibt Untersuchungen, was ein Reisender sucht, wenn er seinen Urlaub bucht: Erholung, Entspannung, Wohlbefinden oder auch Freiheit sind wichtige Urlaubsmotive. Man müsste vielmehr darstellen, dass durch eine nachhaltige Form des Reisens diese Grundbedürfnisse eher gedeckt werden als beispielsweise durch Fernreisen und Massentourismus. Denn oftmals bedenken wir nicht, wie stressig es ist, erst einmal 10 Stunden mit dem Flugzeug anzureisen und dann in einer anderen Zeitzone und einem anderen Klima anzukommen.
Also fängt Klimaschutz schon im Reisebüro an?
Eigentlich müsste es schon viel früher beginnen. In Medien, Öffentlichkeit und Bildung sollte sehr viel stärker thematisiert werden, dass Mobilität nicht eine Selbstverständlichkeit ist, sondern in einem guten Verhältnis stehen muss.
Welche Rolle spielt die Kompensation von Emissionen für den Klimaschutz?
Die Kompensation ist nur der zweitbeste Weg. Wenn ich aber die Reise wirklich nicht vermeiden kann oder möchte, ist das ein gutes Instrument: Einerseits gleicht man damit die entstandenen Emissionen aus, andererseits geht es darum, nachhaltige Projekte in vom Klimawandel betroffenen Ländern zu fördern. Leider ist es so, dass die Länder auf der Erde, die am wenigsten Emissionen produzieren, am stärksten unter den Folgen zu leiden haben. Die Projekte dienen dem Klimaschutz, nützen aber vor allem auch den Menschen vor Ort. Ich würde mir wünschen, dass Kompensation viel selbstverständlicher wird und so akzeptiert ist, wie etwa die Kurtaxe in Deutschland. In Europa beschwert sich niemand darüber, dass in Badeorten oder Strandregionen dieser Aufschlag pro Tag erhoben wird, um die Natur zu schützen und öffentliche Plätze nachhaltig zu pflegen. Genauso wie die Kurtaxe sollte Kompensation ein natürlicher Teil der Reiseplanung sein.
Die UN-Klimakonferenzen der letzten Jahre haben kaum Erfolge erzielt: Sehen Sie eine Verpflichtung zu einer Vorreiterrolle für die deutsche Tourismusbranche?
Ein verbindlicher Mechanismus wäre, den Flugverkehr nicht weiter zu fördern. Beim Fliegen stehen der Kostenaufwand und der Preis in keinem Verhältnis verglichen mit Bahn- oder Busreisen. Die Politik kann das – wenn sie will – wieder gerade rücken. Der Emissionshandel ist da ein erster Ansatz, der sich aber nur EU bzw. weltweit wirklich durchsetzen lässt. Eigentlich hat der deutsche Markt ein hohes Bewusstsein für soziale und ökologische Themen. Immerhin interessieren sich rund 30 Prozent der Reisenden für Umweltthemen – glaubt man den Umfragen – aber leider setzen sie das noch nicht um. Hier könnte man also gut ansetzen.
Vor-Ort-Bericht von Robert Müller aus Indien
Holzkohleöfen indischer Bauart unterstützen indische Unternehmen
Bengalen, November 2014: Im Gangesdelta benutzen schon über 6000 Haushalte innovative Holzkohle-Öfen, finanziert von atmosfair. Für eine Kontrolle des Projektes besuchte atmosfair-Mitarbeiter Robert Müller zusammen mit dem TÜV Ende Oktober das Projekt. Der Prüfer Chetan Sharma aus Neu Delhi war beeindruckt: Für tausende Haushalte sind das Kochen und gleichzeitige Herstellen von Holzkohle inzwischen alltäglich. Dafür befüllen die Nutzer den sogenannten Pyrolyseofen – der vom indischen Projektpartner Servals Automation hergestellt wird – zuerst mit Holz. Dann zünden sie ihn von oben an. In einem sauerstoffarmen Pyrolyseprozess entsteht nun Holzgas, das aufsteigt und direkt unter dem Topf sauber verbrennt. Das Holz wandelt sich zugleich in Holzkohle um und kann von den Nutzern verkauft werden.
So profitiert das Klima gleich doppelt: Die Öfen brauchen weniger Holz als die offenen Feuer zuvor, und die Holzkohle muss nicht mehr mit Unmengen Holz verköhlert werden.
Nachdem bereits 6.000 Haushalte die innovativen Pyrolyseöfen nutzen, steht nun die nächste formale Ausbaustufe an: Da das Projekt weiter wächst, steigen die Anforderungen an Projektdokumentation und Überprüfung der CO₂-Reduktionen nach den UN-Regeln. Das größere Projekt muss dann von einem UN-Prüfer vor Ort neu geprüft und zugelassen werden, wie auch schon bei ähnlichen atmosfair Projekten in Ruanda und Nigeria.
Mit der Größe des Projekts wachsen aber auch die Aufgaben von Projektpartner Moulindu Banerjee. Zukünftig soll der Endnutzerpreis steigen, um die finanzielle Unterstützung von atmosfair nach und nach zu reduzieren. Wenn dann der Verkauf der Öfen ganz selbstständig funktioniert, kann atmosfair die freigewordenen Mittel für andere Projekte verwenden.
Auch die Holzkohle-Logistikkette wird anspruchsvoller, denn inzwischen sammelt Moulindu von den 6000 Haushalten monatlich 150 Tonnen Holzkohle ein, das sind sechs große LKWs voll mit Holzkohle. Bald soll diese nicht mehr gebündelt in Kalkutta, sondern vor Ort verkauft werden. Dafür wurden bereits lokale Abnehmer wie zum Beispiel Goldschmiede oder Tabaktrockner gefunden. So können das Einsammeln und der Weiterverkauf schrittweise an die Projektangestellten übergeben werden, die dann als eigenständige Kleinunternehmer einen lokalen Wirtschaftszweig aufbauen. Ein langfristiger Projekterfolg zeichnet sich dadurch aus, dass die Unterstützung von außen überflüssig wird – davon sind wir überzeugt.