Liebe Leserinnen und Leser,

vielleicht haben Sie es in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen: Gemeinsam mit unserer Tochterfirma Solarbelt gGmbH hat atmosfair in der eigenen Pilotanlage im niedersächsischen Werlte weltweit zum ersten Mal synthetisches Rohkerosin erzeugt. Dazu nehmen wir erneuerbaren Strom, CO₂ aus der Luft, sowie Wasser. Das Kerosin ist CO₂-neutral, weil der darin enthaltene Kohlenstoff bei der Produktion zuerst der Atmosphäre entnommen wird, und beim Verbrauch im Flugzeugtriebwerk wieder in diese ausgestoßen wird.

Aber wie ist dieser Erfolg zu deuten? Ist das der Durchbruch für klimaverträgliches Fliegen? Können wir weiter fliegen wie bisher? Was macht die Luftfahrt?

Die Medien haben das Thema aufgegriffen: atmosfair war deutschlandweit und im Ausland in den Zeitungen. Und wir sind froh darüber, dass sie dem nachdenklichen Ton unserer Pressemitteilung gefolgt sind (als Beispiel für die kritische Berichterstattung  XXX hier der Artikel der FAZ XXX, der auch auf die Fluggesellschaften eingeht). Unter anderem haben wir bisher nämlich nur fünf Tonnen Rohkerosin im Power-to-Liquid (PtL)-Verfahren produziert. Selbst wenn wir einmal die volle Produktionskapazität von 300 Tonnen im Jahr erreichen, können damit nur etwa 1000 Menschen von Frankfurt nach New York über den Atlantik und zurück fliegen.

„atmosfair produziert etwas E-Kerosin“ titelte treffend der Tagesspiegel Background. Bei der Eröffnung der Anlage 2021 hieß es trotz unserer eigenen Vorbehalte dagegen noch: „Fliegen ohne schlechtes Gewissen“.

Was sind die Vorbehalte gegen strombasiertes synthetisches Kerosin, auch e-Kerosin genannt?

Die Versäumnisse und gezielte Fehlkommunikation der Fluggesellschaften beim Klimawandel kritisiert Tourismusexperte Prof. Stefan Gössling in unserem Interview. Er analysiert die Kniffe der Airline-Kommunikation und zeigt, wie die Tourismusbranche ihrem eigenen Geschäft schadet, indem sie Urlaubsgebiete beschädigt und unattraktiv macht. Es gibt jedoch auch Reiseveranstalter, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Wir sind stolz auf unsere Kooperationspartner Hauser Exkursionen und Neue Wege Reisen, die nicht nur unser e-Kerosin abkaufen, sondern gleichzeitig die Emissionen ihrer Reiseangebote reduzieren.

Was heißt das für Sie als Spender? Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie den Bau der e-Kerosinanlage im Emsland unterstützten. In 200 Interviews mit Ihnen hatten Sie uns 2018 bis auf wenige Ausnahmen signalisiert, dass das der richtige Weg für atmosfair ist. Jetzt ist es wieder an Ihnen: Wenn Sie fliegen müssen, fragen Sie bei Ihrer Airline an, ob diese schon e-Kerosin nutzt, jede Anfrage hilft. Und auf unserer Website können Sie bei der CO₂-Flugkompensation schon heute virtuell unser E-Kerosin in den Tank mischen (Book&Claim-Verfahren, wie bei der Einspeisung von Grünstrom ins Stromnetz und Zurechnung zum Käufer). So wird wenigstens ein kleiner Teil der Flugzeugemissionen CO₂-neutral. Jeder zweite Spender macht dies bereits!

Wenn Sie wissen wollen, was der Lufthansa-Chef zu e-Kerosin sagt, wieviel Strom man für einen Liter e-Kerosin braucht, wie ein Nepal-Reiseveranstalter weniger fliegen will und warum wir alle zu wenig Pommes Frites essen, dann freuen Sie sich auf spannende Beiträge in diesem Newsletter. Wir zeigen Ihnen, wo e-Kerosin technologisch und im Markt steht, und weswegen es in Zukunft immerhin eine notwendige Teillösung für das Klima sein kann: Für die wenigen Flüge, auf die wir nicht verzichten können.

 

Es grüßt Sie herzlich

 

Ihr Dietrich Brockhagen

Geschäftsführer atmosfair

 

 

p.s.: atmosfair wächst und sucht engagierte Mitarbeiter mit technischem Hintergrund für unsere Klimaschutzprojekte weltweit. Haben Sie Interesse? Hier finden Sie die aktuellen Stellenausschreibungen von atmosfair und Solarbelt.

Hintergründe

  • E-Kerosin: Wo bleibt der Markthochlauf? Was macht die Politik?
  • Stefan Gössling über fragwürdige Kommunikationsstrategien der Airlines: „… die Airlines stehen unter Druck“
  • Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, Klimaschutz – Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit
  • Wie kommt das atmosfair-Kerosin aus Werlte ins Flugzeug? Das Book&Claim-Verfahren

Aktuelle Links

News: Erste Produktion e-Kerosin von atmosfair

Fernsehen

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Airlines

Hintergrund I – E-Kerosin: Wo bleibt der Markthochlauf? Was macht die Politik?

Hintergrund II: e-Kerosin, was ist das?

Hintergrund II – Gössling über fragwürdige Kommunikationsstrategien der Airlines:

Hintergrund III – Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, Klimaschutz – Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Hintergrund IV – Wie kommt das atmosfair-Kerosin aus Werlte ins Flugzeug? Das Book&Claim-Verfahren

E-Kerosin: Wo bleibt der Markthochlauf? Was macht die Politik?

E-Kerosin ist eine Variante von SAF, Sustainable Aviation Fuels, die neben Verbesserungen am Flugzeug und im Flugbetrieb eine wichtige Rolle bei der CO₂-Reduktion in der Luftfahrt spielen soll. SAF sind in der Abbildung grün dargestellt und reichen von Biotreibstoffen über fettbasierte Antriebe bis hin zu e-Kerosin.

Die Abbildung der ICAO, der internationalen zivilen Luftfahrtorganisation mit Sitz in Montreal, zeigt, dass e-Kerosin und Biotreibstoffe bis 2050 den Löwenanteil der CO₂-Reduktion bringen sollen.

Also alles gut? Wie realistisch ist der Plan? Wir zeigen drei Kernprobleme: Die unreife Technologie, der fehlende Strom und der politische Rahmen in Deutschland und der EU.

Problem 1: Technologie noch nicht reif

Die atmosfair e-Kerosin-Anlage im Emsland, betrieben von atmosfair Tochterfirma Solarbelt gGmbH, läuft seit 2022 hauptsächlich im vereinfachten Modus, in dem das Volumen und Komplexitäten reduziert sind. Von einem Dauerbetrieb auf Voll-Last sind wir weit entfernt und planen mit unserem Technologie-Partner, diesen bis Ende 2026 zu erreichen. Sie ist die erste Anlage weltweit, die überhaupt in Betrieb ist und Kerosin erzeugt hat. Warum geht das so langsam?

E-Kerosin wird per Fischer-Tropsch-Synthese aus Synthesegas erzeugt. Fischer-Tropsch-Anlagen gibt es seit langem, Verfahren und Technologie entstanden in den 1930er Jahren im Ruhrgebiet. Insbesondere Südafrika nutzt diese Technologie großtechnisch, verwendet dabei aber leider Kohle als Ausgangsstoff, mit entsprechend negativem Umweltergebnis. Fischer-Tropsch ist eine reife Technologie; in der Zukunft wird es im Wesentlichen darum gehen, die dabei freiwerdende Abwärme gut in den Vorprozessen der Synthesegaserzeugung zu nutzen und die Bandbreite der erzeugten Kohlenwasserstoffe hin zu Moleküllängen zu schieben, in deren Zentrum nicht das unvermeidbare feste Wachs, sondern flüssige Kraftstoffe stehen.

Die Produktion des Synthesegases ist der schwierigere Teil. Dazu braucht man neben Wasserstoff auch Kohlenmonoxid, das nur schwer aus Kohlendioxid herstellbar ist. Alternativ kann man mittels Co-Elektrolyse Synthesegas direkt aus CO₂ und Wasser erzeugen. Beide Wege sind noch unreif, Gegenstand von Forschung und technischer Entwicklung. Wir haben Hersteller weltweit angefragt, und es gibt viele angekündigte Projekte. Aber liefern kann fast niemand, und angekündigte Projekte werden auch wieder zurückgezogen, wie zuletzt in Hamburg.

Die dort geplante Anlage sollte von 2026 an in einer ersten Ausbaustufe 10.000 Tonnen grünes Kerosin jährlich für den Luftverkehr erzeugen. Laut Stephan Jersch, umweltpolitischer Sprecher der Linken, zeichnen sich nirgends Lieferanten für die 7.000 Tonnen des Kraftstoffes ab, die am Flughafen Hamburg von 2025 an benötigt würden.

Die Technologie muss erst noch beweisen, dass sie stabil laufen kann und skalierbar ist. Bei jeder Hochskalierung um einen Faktor 10 eines Reaktors können unbekannte technische Probleme auftreten, und wir haben für die benötigten vielen Millionen Tonnen Kerosin jährlich noch einige dieser Schritte vor uns. Das unterscheidet e-Kerosin von Photovoltaik, bei der es nicht um immer größere Reaktoren geht, sondern um Massenproduktion von vielen weitgehend gleichen Solarpanels, die später zusammengeschaltet werden können.

Meta-Studien wie von McKinsey oder Bloomberg gehen oft implizit davon aus, dass die Technologie diese Hürden schon genommen hat oder nehmen wird. Sie setzen darauf, dass die Technologie auf den angenommenen Zeitskalen skalierbar ist, aber der Nachweis dafür steht noch aus.

Eine Studie der CENA Hessen bezieht bei der Auswertung von angekündigten e-Kerosin-Projekten immerhin den Planungs- und Umsetzungsstand der Projekte ein. Sie kommt so auf etwa drei Millionen Tonnen für e-Kerosin weltweit, die im Jahr 2030 zu erwarten sind. Diese Zahlen kommen jedoch auch dadurch zustande, dass die Anlagenbetreiber Ziele kommunizieren, die in unseren Augen deutlich zu optimistisch sind. Aber selbst 3 Millionen Tonnen im Jahr 2030 wären nur ungefähr 1% des weltweiten Kerosinbedarfs.

Problem 2: Der Strom reicht heute weltweit nicht für e-Kerosin, und Biokraftstoffe haben ganz andere Sorgen

Selbst wenn die technischen Herausforderungen überwunden sind und wir deutlich mehr e-Kerosin produzieren können, werden die begrenzten Kapazitäten an erneuerbarem Strom zum Engpass. Wind-, Solar- und Wasserkraftwerke sollten zunächst für die Stromversorgung von Industrie, Haushalten, Landwirtschaft und dem Straßenverkehr genutzt werden, bis dort die Energiewende geschafft ist. Erst dann kann der Ausbau größerer Kapazitäten für die Produktion von e-Kerosin erfolgen. In Werlte braucht die atmosfair-Anlage noch fünf Einheiten Energie als Input, um eine Einheit im erzeugten Kerosin zu erhalten. Selbst wenn dieses Verfahren durch technischen Fortschritt langfristig so optimiert wird, dass, wie Studien annehmen, nur noch zwei Einheiten Input für eine Einheit Output im Kerosin gebraucht wird, müsste die gegenwärtige Kapazität an erneuerbaren Energien weltweite etwa verdoppelt werden, nur um den gesamten Luftverkehr mit e-Kerosin versorgen zu können. Das ist prinzipiell möglich, gerade die Solarenergie wächst derzeit glücklicherweise schnell, aber bevor wir wirklich in abgelegenen Wüstenregionen im großen Stil e-Kerosin mit Solarstrom erzeugen können, werden viele Jahre vergehen, die wir im Klimaschutz nicht haben.

Der Nutzungskonflikt elektrischer Energie hat Ähnlichkeiten mit dem Teller-Tank-Konflikt bei konventionellen Biokraftstoffen. Bei diesem geht es um die Frage, ob wir Ackerflächen zur Nahrungs- oder zur Energieerzeugung nutzen sollten. Wenn fett- oder ölhaltige Biomasse wie Mais oder Raps extra angebaut werden muss, um Treibstoff zu erzeugen, hat sie nur sehr begrenztes Potential, denn dann geht jeder Liter Kerosin auf Kosten von Lebensmitteln für Menschen.

Neben Treibstoffen aus Anbaubiomassen zählen die fettbasierten Treibstoffe (Hydroprocessed Esters and Fatty Acids, kurz: HEFA), auch aus Abfallfetten, zu den Biokraftstoffen. Diese sind bei Fluggesellschaften beliebt. Wenn die Fette wirklich Abfall sind, wie Frittierfett aus Großküchen, und nicht wie Palmöl extra angebaut werden, dann ist es auch sinnvoll, sie zu nutzen. Allerdings beschränkt das die nutzbare Menge auf einen kleinen Bruchteil dessen, was der heutige Flugverkehr benötigt; dazu essen wir alle einfach zu wenig Pommes frites.

Wenn der Teller-Tank-Konflikt wirklich vermieden werden soll, dann bleiben bei den biogenen Abfallstoffen als Ausgangsressource holzartige Ernte- oder Verarbeitungsreste wie z.B. Kokosnussschalen, Baumwollstängel oder Zuckerrohrbagasse, die sonst verbrannt würden. Diese können zu Synthesegas gasifiziert werden, um daraus Kerosin zu erzeugen. Das Verfahren heißt Biomass-to-Liquid (BtL) und hat den großen Vorteil, keine Stromzufuhr zu benötigen. Atmosfair hat das weltweite Potential dafür zusammen mit dem ifeu-Institut in einer Studie untersucht, die wir bald veröffentlichen werden. Insbesondere für Entwicklungsländer bietet sich hier die Möglichkeit, schrittweise in die neuen Technologien einzusteigen und sich hochwertige Exportmärkte zu erschließen.

Problem 3: Die Kosten und die Politik

In unserem Teil über Airlines schauen wir genauer hin, wie es um deren Kosten für e-Kerosin steht. Aber welche Rolle spielt die Politik?

Politisch stellt sich zunächst die Grundsatzfrage: Soll die Luftfahrt überhaupt gefördert werden? Umweltschützer haben nachgewiesen, wie stark der Luftverkehr seit Jahrzehnten subventioniert wird. Und hatten wir nicht gezeigt, dass Billigflieger Subventionen in Klimabelastung verwandeln, durch immer mehr Flüge, die die Allgemeinheit am Ende doppelt bezahlt: über Subventionen am Abflug- und Zielort und über die Klimaerwärmung?

Aber es kann auch das berechtigte Interesse von Ländern wie Deutschland sein, eine notwendige Zukunftstechnologie zum Laufen zu bringen, wie einst die Solarenergie. Wenn das das Ziel der deutschen Politik war, dann verfehlt sie es derzeit: Die gültige Quotengesetzgebung schreibt vor, dass über die Zeit eine wachsende Menge an e-Kerosin dem konventionellen Kerosin beigemischt werden soll. Damit gibt es eine gesetzlich vorgegebene Nachfrage, die der Markt dann kosteneffizient über den Wettbewerb bedient. Soweit die Theorie.

In der Realität sehen wir, dass die Investitionen nicht erfolgen, die eigentlich nötig sind. Potenzielle Erzeuger von e-Kerosin sind eher bereit, nichts zu tun. Sie nehmen lieber zukünftig drohende gesetzliche Strafzahlungen in Kauf, als das Risiko von Fehlinvestitionen in eine unsichere Technologie zu tragen. Für sie ist es riskanter, als First Mover auch zum First Loser zu werden, wenn Nachfolger von sinkenden Risiken und Kosten profitieren.

Das ist der entscheidende Unterschied zwischen der deutschen und EU-Quotenregelung für e-Kerosin und dem äußerst erfolgreichen deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahre 2000, das international in vielen Ländern kopiert wurde und der Solarenergie einen unerhörten Siegeszug beschert hat, die heute weltweit die günstigste Quelle für Strom überhaupt geworden ist: Das EEG sicherte über 20 Jahre jedem Besitzer einer Solaranlage eine feste Vergütung zu. Damit konnte jeder Investor seine Anlage durchrechnen und mit quasi-staatlicher Sicherheit bauen. Bei der Quote für e-Kerosin dagegen ist unklar, wie hoch die Vergütung für e-Kerosin im nächsten Jahr und dauerhaft sein wird. Schon gar nicht über einen Zeitraum von 20 Jahren und mehr, die Industrieanlagen als Zeithorizont haben. Dieses Risiko will kein Investor tragen. Quotenregelungen sind für einen reifen Markt, in dem die technologischen Risiken eliminiert und die übrigen Risiken bekannt und quantifiziert sind, den die Akteure kennen und in dem es Finanzierungsmechanismen gibt. Das ist bei e-Kerosin nicht der Fall.

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Prof. Stefan Gössling über fragwürdige Kommunikationsstrategien der Airlines: „... die Airlines stehen unter Druck“

Prof. Dr. Stefan Gössling, geboren 1970, ist seit 2009 Professor für Tourismus an der Linnaeus-Universität in Schweden. Er war zudem Gastprofessor an führenden internationalen Universitäten, darunter die University of Canterbury in Neuseeland und die University of Queensland in Australien. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als weltweit meistzitierter Forscher im Bereich „nachhaltiger Tourismus“ im Jahr 2021. In seiner interdisziplinären Forschung beschäftigt sich Gössling mit Klima- und Verkehrspolitik.

Herr Professor Gössling, atmosfair hat die ersten Tonnen an CO₂-neutralem e-Kerosin produziert. Stemmt die Luftfahrtbranche bald mit Hilfe von modernen Technologien die Klimawende?

Das glaube ich nicht. Zunächst einmal ist da das Problem des Wachstums. Trotz Effizienzgewinnen und der bescheidenen Nutzung von Biotreibstoffen sehen wir, dass die CO₂-Emissionen der Airlines seit Jahrzehnten immer weiter wachsen[1]. Das Wachstum an Passagieren hat alle Anstrengungen aufgefressen – nur die Pandemie hat den Ausstoß für ein paar Jahre gesenkt.

E-Kerosin wird das nicht rechtzeitig ändern. Ich sehe die Barrieren zu mehr e-Kerosin wie die Schalen einer Zwiebel – immer wenn man ein Problem gelöst hat, dann findet man darunter das nächste. Zunächst einmal ist da die Technologie, die weder reibungslos funktioniert noch relevante Mengen an Treibstoff liefert, selbst wenn enorme Anstrengungen unternommen würden, um weitere Anlagen zu bauen. Dann ist da das Problem der enormen Mengen an erneuerbarem Strom, die für solche Anlagen benötigt würden[2]. Es wäre ein Zubau an Solar- und Windkraftanlagen, den es so noch nicht in Deutschland gegeben hat. Zusätzlich zu den schon bestehenden Anstrengungen, alles nur für den Flugverkehr. Nicht zuletzt ist da die Kostenfrage. Wer kauft einen Treibstoff, der um ein Vielfaches teurer ist als fossiles Kerosin? Die Lufthansa, die sich ja auf ihrer Webseite damit gebrüstet hatte, als erste Fluggesellschaft der Welt mit e-Kerosin zu fliegen, hat jedenfalls einen Rückzieher gemacht, selbst als es nur um ein paar Tonnen ging. So können auch keine Märkte für e-Kerosin entstehen.

Die CO₂-Emissionen des Weltluftverkehrs steigen seit Jahrzehnten stetig, obwohl Flugzeuge pro Kilometer und Passagier immer weniger Energie verbrauchen. Quelle: “Are technology myths stalling aviation climate policy?”, Peeters et al., 2016

Das klingt so, als ob die Öffentlichkeitsarbeit von Fluggesellschaften aus viel heißer Luft bestehen würde…

Die Airlines stehen unter Druck. Sie wissen, dass Klimaschutz teuer ist, leben aber schon jetzt zum großen Teil von Subventionen. Darum wird in der Öffentlichkeit ein Greenwashing ohne Gleichen betrieben. Wir haben zum Beispiel die Kommunikation von 14 großen Airlines wie Delta, AirFrance-KLM und Emirates untersucht und herausgefunden, dass die Airlines sehr strategisch vorgehen[3]. In der Kommunikation wird die Klimaherausforderung als übergroß dargestellt, das Vorgehen der Fluggesellschaften als wissenschaftsbasiert, dem Gast wird suggeriert „wir tun unseren Teil“, gleichzeitig wird „Fliegen für alle“ als Leitbild einer zukünftigen Welt propagiert, auch mit dem Verweis auf soziale Gerechtigkeit. Das ignoriert, dass pro Jahr mehr als 95 % der Menschheit nicht international fliegt, aber gerade die Armen die Kosten des Lebensstils der Wohlhabenden tragen. Auch in Deutschland fliegt nur jeder dritte Bürger in einem Jahr.

Der Verweis auf Technologie ist auch eine beliebte Strategie der Airlines. Die gibt es seit Mitte der 90er Jahre. Seit 30 Jahren liegt die Lösung dabei immer in der Zukunft, wobei jede gehypte Technologie früher oder später von einer anderen ersetzt wird. Es gibt schon Studien, die zeigen, wie die Ziele, die für die Zukunft gesetzt wurden, nie erreicht wurden – jetzt ist das Zieljahr ja 2050, da will man die jetzigen CO₂-Emissionen um die Hälfte reduziert haben. Es handelt sich also um ein nicht hinreichendes Ziel, da wir dann ja ohne Emissionen auskommen sollten – trotzdem lehnt man sich vor dieser Fassade zurück und verweist auf die Zukunft. Die grünen Mythen haben einzig und allein das Ziel, dass weiterhin Flüge gebucht werden und die Politik sich nicht einmischt.

Sind Sie da nicht zu hart? Wir sehen, dass die deutsche Umwelthilfe die TUI verklagt, weil sie in der Kreuzfahrt mit erneuerbaren Treibstoffen mehr behauptet als sie tut, oder Lufthansa-Eurowings gerade vor Gericht verloren hat, weil sie unwirksame CO₂-Kompensation anbietet. Sollten Vorreiter, die etwas versuchen, gleich so hart rangenommen werden?

Es geht um unsere Zukunft – und um Ehrlichkeit. Wenn die Industrie nicht anerkennt, dass es ein Problem gibt, dann lässt sich dieses Problem auch nicht lösen. Es ist auch nicht akzeptabel, dass die Kosten des Klimawandels weiterhin ignoriert werden können. Wir brauchen jetzt eine Klimapolitik, die durchgreift – und dafür müssen notfalls auch Unternehmen an den Pranger gestellt werden. Ich wünsche mir viel mehr Gerichtsurteile, als Korrektiv der aktuellen Situation.

Der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa, Carsten Spohr, sagte zuletzt in einem Interview im Schweizer Fernsehen, dass er selbst nicht wisse, woher die großen Mengen an klimaverträglichen Treibstoffen in Zukunft kommen sollen. Das ist doch wenigstens ehrlich, oder?

Das kann man so sehen. Ich verstehe es eher als Teil des neuen Diskurses: Wir haben es versucht. Aber auch die Lufthansa setzt ja weiterhin auf Volumenwachstum, kauft Fluggesellschaften, expandiert. Ich würde daher gern der Politik zurufen. Die Lufthansa kann es nicht – und wie wir wissen: will es auch nicht – also begrenzt doch bitte mit anderen Mitteln das Wachstum der Emissionen dieses Unternehmens. Wir haben ja auch wissenschaftlich gezeigt, dass es für Fluggesellschaften viel profitabler wäre, wenn sie auf weniger Wachstum und höhere Profite pro Passagier setzten[4].

Die Luftfahrt ist nur ein Dienstleister einer globalen Reiseindustrie. Wie sollte der Tourismus mit dem Thema umgehen?

Aus zahlreichen Untersuchungen wissen wir: Ein Drittel der Deutschen interessiert sich nicht für Klima oder Umwelt, wenn es um den Urlaub geht. Denen ist alles egal. Ein weiteres Drittel sieht das Problem, aber nicht sich selbst in der Verantwortung. Das zeigt, dass wir Regulierung brauchen. Der erste Schritt wäre für mich daher, die tatsächlichen Kosten des Klimawandels die Verursacher tragen zu lassen. Das lässt sich am unteren Rand mit einem CO₂-Preis von 200 Euro pro Tonne beziffern. Das wäre eine Frage der Fairness. Niemand wird es gerecht finden, dass andere für den Schaden zahlen sollen, den man selbst verursacht hat. Dann ist da natürlich auch die Einsicht relevant, dass wir schon in naher Zukunft immer mehr Reiseziele verlieren werden aufgrund des Klimawandels.

 

Sie meinen, dass beliebte Urlaubsziele wie die Malediven untergehen, wenn der Meeresspiegel durch Flugreisen steigt?

Wir können zeigen, dass bei Fortschreiten des Klimawandels viele Länder ökonomisch und politisch instabil werden[5]. Reisen in fast alle armen Länder der Erde werden damit problematisch. Aber auch bei uns sehen wir schon jetzt eine Zunahme von Starkregen, Dürren, Waldbränden, oder Stürmen. Dabei ist das alles nur der Anfang. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass man seinen Urlaub in Zukunft noch wie geplant genießen kann. Reiseveranstalter sollten also im eigenen Interesse ihre Angebotsportfolios klimaverträglich umbauen.

Das Interview führte Wolfdietrich Peiker von atmosfair

Quellen

Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, Klimaschutz – Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Deutschlands größte Fluggesellschaft hat sich die Entwicklung von nachhaltigen Kraftstoffen schon länger auf die Fahnen geschrieben. So sagte der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa Carsten Spohr in einem Interview mit dem SRF im Mai 2024: „Die Skalierbarkeit wird kommen über synthetische Kraftstoffe. Wir arbeiten auch mit Universitäten aber auch mit Startups zusammen, um die Angebotsmengen hochzufahren.“ Er sei stolz, dass die Lufthansa eine Airline-Gruppe sei, wo schon viele Kunden bereit seien, die Mehrkosten mitzutragen. „Jetzt müssen wir gemeinsam die Mengen hochbringen.“

Das klingt gut. Passagiere zahlen die Mehrkosten, und die Airlines steigern gemeinsam mit ihnen die Produktionsmengen, damit Innovationen die Kosten senken. Andersherum droht dagegen Greenwashing, wie von Prof. Stefan Gössling beschrieben (siehe Interview in diesem Newsletter): Beschränkt sich die Abnahme von synthetischen Kraftstoffen auf symbolische Mengen, wird sie zum Deckmantel für das grüne Marketing, aber eigentlich geht alles weiter wie bisher. Auch atmosfair-Schirmherr Prof. Mojib Latif fordert deshalb: „Die Airlines müssen jetzt ihren Teil des Risikos übernehmen und die Abnahme von relevanten Mengen zusichern.“

Die deutschen Airlines verbrauchen zusammen etwa 10 Millionen Tonnen Kerosin jährlich, unsere Anlage in Werlte soll 300 Tonnen jährlich produzieren. Wo verläuft hier die Grenze zwischen unzumutbaren Mehrkosten für die Airlines einerseits und Greenwashing mit Kleinstmengen anderseits?

atmosfair nimmt als Maßstab die nötigen Preiserhöhungen beim Passagier. Die Airlines sind hier am stärksten betroffen; Kerosin macht etwa ein Drittel ihrer Ticketpreise aus. Damit die Einführung von e-Kerosin bei einer Airline wirtschaftlich dauerhaft tragbar ist, kann die resultierende Preiserhöhung einer Vorreiterairline nur im Promillebereich liegen, um sich im Wettbewerb nicht zu schaden. Das e-Kerosin unserer Pilotanlage ist über 30-mal teurer als fossiles Kerosin; damit lässt sich berechnen, wie viel eine Airline abnehmen kann, ohne sich wirtschaftlich zu schaden. Das liegt noch deutlich unter den Vorgaben der Bundesregierung, die ab 2026 mindestens 5 Promille an e-Kerosin vorschreibt. Aber dennoch ist bisher keine deutsche Fluggesellschaft bereit, unseren Preis und unsere Mindestmenge für CO₂-neutrales Kerosin zu übernehmen – im Gegensatz zu zwei deutschen Reiseveranstaltern und vielen Unternehmenskunden, die bei uns das e-Kerosin per Book&Claim-Verfahren schon für ihre Geschäftsreisen kaufen.

Klimaschutz nur mit Bepreisung der Umweltkosten

Klimaschutz wird nur gelingen, wenn die Verbraucher bereit sind, die Umweltkosten zu tragen und für die Lösungen zu bezahlen. Umweltökonomen nennen das die Internalisierung der externen Kosten. Es ist zusammen mit dem Vorsorgeprinzip eines der leitenden Prinzipien in der EU-Umweltgesetzgebung, gerade im Verkehrssektor.

Die CO₂-Kompensation von atmosfair ist die praktische Umsetzung dieses Internalisierungs-Ansatzes, allerding auf freiwilliger Basis. Auch der nun mögliche Kauf von e-Kerosin durch die Airlines selbst und durch Flugpassagiere auf unserer Website ist freiwillig. Aber das Ziel muss immer sein, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen.

Reiseveranstalter erste Kunden von e-Kerosin / andere Reisen im Angebot

Auch ohne Fluggesellschaften konnten wir Abnehmer für unser teureres CO₂-neutrales e-Kerosin finden. Die beiden Reiseveranstalter Neue Wege Reisen und Hauser Exkursionen mischen jeder Flugreise, die bei ihnen gebucht wird, 0,1 Prozent Fairfuel-Kerosin bei (virtuell über das Book&Claim-Verfahren). Beiden Anbietern ist es wichtig, dass sie alles im Klimaschutz umsetzen, was technisch möglich ist. Sie zeigen, dass sie Vertrauen in Ihre Kunden haben, die am Ende bezahlen müssen und sogar abspringen könnten. „Unser Selbstverständnis ist, dass Reisen nicht auf Kosten der Natur gehen darf“, sagt Manfred Häupl, Geschäftsführer von Hauser Exkursionen, der auch bei der Eröffnung der Anlage im Emsland war. „Da haben wir keine Wahl, wir sind dazu verpflichtet, alles zu tun, was möglich ist.“

Die Kooperation beschränkt sich nicht auf das Fairfuel-Kerosin. Wir beraten Hauser Exkursionen und Neue Wege Reisen und die mittelständischen Reiseveranstalter im Verband forum anders reisen dabei, wie sie CO₂ durch weniger Flugreisen einsparen können, ohne dabei wirtschaftlich zu verlieren. Dabei geht es um den Umbau des Portfolios ihrer Reiseangebote. Ziel ist es, Reisen mit Langstreckenflügen und schwachen Erträgen schrittweise durch profitablere Angebote zu ersetzen, die räumlich näher liegen oder sogar ganz ohne Flug auskommen. So erreichen wir, dass die Unternehmen nach wie vor wirtschaftlich arbeiten, aber dabei weniger klimaschädlich sind. Manfred Häupl, „Wir müssen weiter an Konzepten arbeiten, die das Fliegen per se reduzieren. Dank Rail und Fly vermeiden wir bereits innerdeutsche Flüge. Und da wir keine Fernreisen mit Dauer von weniger als zwei Wochen anbieten, reduzieren wir die Zahl an An- und Abreisen. Unser Credo lautet ‚Reise weniger, dafür richtig‘. Neben der Wirtschaftlichkeit ziehen wir auch die Klimabelastung in die Portfolioplanung mit ein.“

atmosfair arbeitet mit dem Verband forum anders reisen derzeit an einer Methode für die Festlegung und Umsetzung von Klimaschutzzielen, die noch mit deutlich unter 2° C Erderwärmung auskommen und wissenschaftsbasiert sind. Die Methode wollen wir dann bei der Science Based Targets Initiative einreichen, bei der bereits tausende Unternehmen weltweit ihre wissenschaftsbasierten Klimaziele hinterlegt haben.

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Wie kommt das atmosfair-Kerosin aus Werlte ins Flugzeug? Das Book&Claim-Verfahren

atmosfair ist seit Mai 2024 vom TÜV zertifiziert und damit berechtigt, die in Werlte produzierten Mengen an Rohkerosin per Book&Claim-Verfahren zu verkaufen. Eine gute Nachricht, denn damit sind wir die ersten, die das für e-Kerosin erreicht haben. Aber was heißt das eigentlich, Book&Claim-Verfahren?

Physisch ist es so: Das Kerosin, das atmosfair in Werlte herstellt, ist noch ein Rohöl, ähnlich demjenigen aus Erdölquellen, nur eben CO₂-neutral mit erneuerbarem Strom synthetisch hergestellt. Um flugzeugtauglich zu werden, muss es noch in einer Raffinerie veredelt werden. Da die Mengen jetzt und in Zukunft noch klein sind, ist keine Raffinerie in der Lage, unser Kerosin getrennt vom Rest zu verarbeiten. Das heißt, am Raffinerieeingang wird unser Rohkerosin mit dem fossilen Rohöl beispielsweise aus Saudi-Arabien vermischt. In der Raffinerie werden beide Mengen zusammen verarbeitet und kommen deswegen auch am Raffinerieausgang gemischt heraus. Ein Tanklastwagen, der dann das Kerosin an Flughäfen bringt, hat dann also fast nur fossiles Kerosin dabei, mit einer kleinen Beimischung an e-Kerosin. Mit diesem Gemisch fliegen dann alle Fluggesellschaften, die an den Flughäfen tanken, die von diesem Tanklastwagen bedient werden. Physisch wird also unser Kerosin von vielen Fluggesellschaften zu einem ganz geringen Anteil genutzt, ohne dafür zu bezahlen.

Bezahlt hat das grüne Kerosin aber nur eine Fluggesellschaft, ein Reiseveranstalter oder ein Unternehmen, das seine Geschäftsreisen klimafreundlicher machen will.

Hier setzt das Book&Claim-Verfahren an: Es stellt ein Zertifikat für den zahlenden Kunden aus, der sich damit die CO₂-Minderung des Kerosins voll anrechnen kann, egal in welchem Flugzeug es verbraucht wurde. Das Verfahren ist damit keine physische Anrechnung, sondern eine bilanzielle, auf dem Papier. Für das Klima ist das unerheblich, denn die Tonnen an atmosfair-Kerosin kommen ja zum Einsatz und sparen das CO₂ ein (denn es wurde ja CO₂-neutral hergestellt). Dabei ist es egal, welches Flugzeug welcher Airline das Kerosin verbraucht hat.

Damit entspricht das Book&Claim-Verfahren für CO2-Einsparungen aus e-Kerosin den Zertifikaten für Einspeisung von Grünstrom in das Stromnetz. Dabei ist es auch unerheblich, dass ein Haus, das neben einem Kohlekraftwerk steht, physisch immer Strom von diesem Kraftwerk bezieht. Solange der Haushalt einen Stromvertrag mit einem Ökostromanbieter hat, speist dieser seinen erneuerbaren Strom ins Stromnetz ein, verdrängt fossilen Strom und entlastet so das Klima. Entscheidend ist nur, dass die eingespeisten und entnommenen Mengen übereinstimmen, also das Prinzip des Mengenäquivalents eigehalten wird. Das stellt die Zertifizierung des Book&Claim-Verfahrens durch den TÜV sicher.